Leseprobe aus: Skie - Assassinenprinzessin

16.03.2019

Kapitel 1

Sie lachte. Lachen war alles, was sie davon abhielt, wütend die Fäuste zu ballen. Innerlich spielte sie mit dem Gedanken, ihrem Gegenüber den silbernen Dolch, den sie sich um den Oberschenkel gebunden hatte, in seine fette Brust zu rammen. Um dem entgegenzuwirken, strichen ihre Finger über ihr blaues, im Schein der Kronleuchter schimmerndes langärmliges Kleid, das einen tiefen, mit Perlen bestickten Ausschnitt hatte, um jeden Mann von ihrem Gesicht abzulenken. Niemand sollte sich daran erinnern. Wenn jemand später an sie zurückdenken sollte, dann an ihr Dekolleté und nicht an ihre blauen Augen oder ihr schwarzes, langes Haar, das sie zu einem Zopf geflochten hatte. Denn sie war heute nicht zum Vergnügen hier. Sie war hier, um jemanden zu treffen.

Der ältere Mann warf ihr schmierige Blicke zu, doch sie ignorierte sie. Es würde nur den Bruchteil einer Sekunde dauern, ihn zu überwältigen, aber sie hatte nicht vor, für Aufsehen zu sorgen. Es war wichtig, unter dem Radar zu bleiben. Die Wachen der Königin behielten den gesamten Saal im Auge. Nichts würde ihnen heute Abend entgehen. Schliesslich war heute die Verlobungsfeier von Prinzessin Ava.

Als sie hier angekommen war, hatte sie beinahe Mitleid mit der jungen Thronfolgerin verspürt, denn ihr Verlobter war noch hässlicher als der abstossende Mann, der ihren Ausschnitt nicht aus den Augen liess. Und diese Auffassung schien sie mit Ava zu teilen, denn in Momenten, in denen sie sich unbeobachtet fühlte, verzog sich ihr hübscher Mund zu einer missbilligenden Fratze. Doch auch ihr blieb nichts verborgen.

«Ich muss die Lady leider kurz entführen», erklang eine raue Stimme. Sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, zu wem sie gehörte. Die Enttäuschung, die das Gesicht des fetten Mannes überzog, entlockte ihr beinahe ein Lächeln. Sie ging in die Knie, knickste und wandte sich dann ab.

«Noch eine Minute länger und ich hätte dem Kerl die Augen ausgestochen.»

Der junge Mann, der ihr nun gegenüberstand, lachte. «Das hätte ich zu gerne gesehen.»

«Hättest du nicht.» Sie ging an ihm vorbei, um abseits des Geschehens mit ihm reden zu können. Niemand musste etwas von ihrer Unterhaltung mitbekommen, für die man sie in den Kerker werfen könnte. Oder Schlimmeres.

Sie quetschte sich neben reichen, nach Parfüm stinkenden Frauen durch, bis sie eine Wand spürte. Dieser folgte sie, bis sie das Gefühl hatte, keine neugierigen Blicke mehr einzufangen. Der Mann war ihr gefolgt, wie erwartet. Sie blieb stehen, drehte sich auf dem Absatz um und verschränkte demonstrativ ihre Arme vor der Brust. «Du wolltest mich sehen, Ol?»

Oliver Thatcher war weder Freund noch Feind. Er war einfach nur ein Kerl, der ihr ab und zu Aufträge besorgte. Nicht mehr, nicht weniger.

«Skie, du kommst immer sofort zum Punkt, wie ich sehe.»

«Hab zu tun», erklärte sie sich. «Also beeil dich.»

«Schön, wie du willst.» Er beugte sich zu ihr vor. Bei jedem anderen Mann hätte sie vermutet, dass es mit ihrem Ausschnitt zu tun hatte, aber nicht bei Oliver Thatcher. «Ich habe einen neuen Auftrag für dich.» Er dämpfte seine Stimme, als er fortfuhr: «Es geht um den Prinzen.»

Skies Augenbraue huschte nach oben. Das klang nach einem wirklich beschissenen Auftrag. Und vor allem nach einem, der sie ihren Kopf kosten könnte. Oder vermutlich sogar würde. Doch so lief ihr Geschäft. Sie liebte Gefahren, sie liebte den Nervenkitzel. Trotzdem war sie nicht lebensmüde. Und immer, wenn irgendjemand von einem Königshaus betroffen war, konnte es nur in einem Blutbad enden.

«Was ist mit dem Prinzen?», fragte sie und versuchte, ihrer Stimme einen gleichgültigen Klang zu verleiten. Oliver musste nicht wissen, dass er ihre Neugier geweckt hatte.

«Jemand hat uns viel Geld geboten, wenn wir ihn aus dem Weg räumen.»

Skies Vermutung bestätigte sich. Ärger. Jede Menge Ärger. Sie verzog ihre Lippen zu einem spöttischen Lächeln. «Wieso kümmerst du dich nicht selbst darum?»

Oliver zuckte mit seinen breiten Schultern. «Ich mach mir nicht gerne die Hände schmutzig, das weisst du doch.»

Sie nickte. Deshalb kam er auch zu ihr. Sie hatte nichts dagegen, sich die Hände schmutzig zu machen. Im Gegenteil.

Ihr prüfender Blick schweifte über die Gäste, bis er an Prinzessin Ava hängen blieb. War sie es vielleicht, die ihren Verlobten aus ihrem Leben haben wollte? Verübeln konnte sie es ihr nicht. Die Prinzessin war die Schönheit in Person. Ihr Verlobter, Prinz Paul, war es nicht. Er war hässlich und abstossend. Und ausserdem konnte es kaum ein angenehmes Gefühl sein, wie ein Stück Fleisch an den meistbietenden Mann verschachert zu werden. Aber würde eine Prinzessin deshalb wirklich so weit gehen, den Zukünftigen von jemandem umbringen zu lassen?

«Was springt für mich dabei raus?», fragte sie, um Zeit zu gewinnen, die Vor- und Nachteile abzuwägen. Auch wenn sie eigentlich jetzt schon wusste, dass die Nachteile gewaltig überwogen.

«Die Hälfte der Bezahlung.»

«Nur die Hälfte?» Sie grinste verstohlen. Das war kein faires Angebot und das wusste Oliver auch. «Seit wann bist du denn so geizig?»

«Seit das Geschäft nicht mehr so rund läuft.» Er nickte Richtung Königin. Skie folgte seinem Blick. «Sie macht Jagd auf Assassinen, Skie. Deshalb komme ich zu dir.»

Sie runzelte die Stirn und schaute ihm wieder in die Augen. «Ich bin auch eine Assassine.»

Olivers Lippen öffneten sich zu einem Grinsen und zeigten seine weissen Zähne. «Falsch. Du bist der Teufel.»

Sie rümpfte die Nase. Teufel war ihr Spitzname. Wieso? Weil eine dumme Frau irgendwann mal Zeugin ihrer Arbeit wurde und nur geschrien hat, sie hätte den Teufel gesehen. Viel zu theatralisch, für Skies Geschmack. Sie hatte dem alten Fettsack schliesslich nur die Kehle aufgeschlitzt und nicht seine Eingeweide rausgerissen.

«Das ist ein mieser Auftrag, Ol», offenbarte sie und liess den Blick schweifen. «Das kann nur schiefgehen.»

«Seit wann fürchtest du dich vor einem Job?»

«Seit die Königin damit begonnen hat, alle, die ihr nicht passen, draussen im Garten aufspiessen zu lassen. Ausserdem, den Prinzen von Talberg umzubringen, und das auch noch hier, das würde einen Krieg auslösen. Also, wie gesagt: mieser Auftrag.»

«Sei nicht so wählerisch, Skie. Was Besseres gibt es momentan nicht.»

Sie zuckte desinteressiert mit den Schultern. Die Unterhaltung begann, sie zu langweilen. Ganz egal, wie gut die Bezahlung war, sie würde ihren Kopf nicht riskieren, indem sie den eines Prinzen abschlug. Das war ein unnötig hohes Risiko. Sie liebte die Gefahr, aber sie liebte ihr Leben nun mal noch ein Stück mehr.

«Sorry, Ol. Ich bin raus.» Sie tätschelte amüsiert seine Schulter, als sie sein finsteres Gesicht sah. «Wenn wieder was Anständiges ansteht, gib mir Bescheid.» Sie setzte ihre perfekt ausdruckslose Miene auf, als sie ihn einfach stehenliess und sich durch die Menschenmenge quetschte. Sie hasste den riesigen Ballsaal mit den grässlich verzierten Kronleuchtern, der vergoldeten Decke und dem weissen Marmorboden. Selbst die fein geschwungenen Säulen in den Ecken des Raumes konnten ihr Interesse schon längst nicht mehr wecken, dafür war sie zu oft hier gewesen. Der einzige Grund, weshalb sie überhaupt noch in Silbersee weilte und nicht schon längst in einem anderen Reich Fuss gefasst hatte, war Oliver Thatcher und die Aufträge, die er ihr immer wieder zusteckte. Sie hielten sie finanziell über Wasser.

Sie prallte beinahe mit jemandem zusammen, weil sie so beschäftigt damit war, ihr Kleid hochzuhalten, damit sie nicht darüber stolperte. Normalerweise war sie nicht so tollpatschig, weshalb sie sich still dafür verfluchte.

«Verzeihung», murmelte sie, ohne aufzublicken. Erst das fröhliche Lachen, das an ihr Ohr drang, animierte sie dazu, doch noch den Kopf zu heben und zu prüfen, mit wem sie zusammengestossen war.

«Entschuldigung angenommen», versicherte der Mann und schaute sie mit seinen stechend grünen Augen an.

Mist. Sie hatte ausgerechnet den Hauptmann der Königinnengarde angerempelt. Auf keinen Fall durfte er sich an ihr Gesicht erinnern. Deshalb senkte sie den Kopf wieder und hoffte, dass auch er nur Augen für ihren Busen hatte. Sie machte einen höflichen Knicks und wollte sich davonstehlen, als seine Stimme sie zusammenzucken liess.

«Kennen wir uns irgendwoher?»

Sie verzog unmerklich ihre Lippen zu einem schiefen Lächeln. Und ob sie sich kannten, sie war ihm mehr als einmal nur knapp entkommen. Aber er würde sie nicht erkennen, dafür würde sie ihre Hand in ein sehr grosses, heisses Feuer legen.

«Daran würde ich mich gewiss erinnern», gab sie zurück, hielt dabei ihr Gesicht aber weiterhin so gut versteckt, wie es ihr möglich war.

«Verzeihung, ich dachte nur, ich hätte Euch schon mal gesehen.»

«Entschuldigung angenommen.» Obschon sie wusste, dass es ein Fehler war, schaute sie ihm nun doch in die Augen. Er lachte erheitert. Seine schulterlangen, dunklen Haare hatte er hinter die Ohren gestrichen. Seine glänzende Rüstung wirkte zwischen all den nobel gekleideten Gästen fehl am Platz.

«Danke.»

Sie nickte und wandte sich dann mit einem weiteren höflichen Knicks von ihm ab. Dieses Mal schaffte sie es, ohne aufgehalten zu werden. Dennoch hatte sie das Gefühl, seinen stechenden Blick in ihrem Rücken zu spüren.


(Erscheint 2019)